Archiv für den Monat Oktober 2017

Zungenknoten in Armsheim?!

Es war an einem der letzten Septembertage des Jahres 2017. Alles um ihn herum war ruhig, der Sommer hatte das letzte Pulver verschossen. Nur noch wenige Blüten, ein paar Schmetterlinge und Bienen, das meiste Obst war geerntet, die Traubenernte eingeholt.
Einzig ein paar Stare saßen auf dem Baum und zwitscherten unruhig durcheinander. Sie würden bald aufbrechen, wie auch er.

Heute würde es sich entscheiden, der Tag war gekommen. Beim Gedanken an die mörderische Einsamkeit Islands klopfte sein Herz und seine Gedanken zwitscherten ebenso chaotisch, wie die Stare im Baum. Er hatte sich vorbereitet – ganz ohne Frage. Ein dutzend Tests hatte er durchgeführt, hatte ja auch schon Erfahrung. Doch dieses Mal war es anders…
Dieses Mal drohte ihm Ungemach, bei diesen ominösen Wörtern, bei diesen seltsamen Schriftzeichen.
Neben den üblichen feuchten Händen, dem Herzklopfen und dem Adrenalin-Kick drohte zudem … ein Knoten in der Zunge, dem ein Knoten im Gehirn folgen könnte. Black-out! – Feierabend…!

Diese Aussicht erhöhte das Lampenfieber noch weiter, und als er schließlich in Armsheim vorm Publikum stand, geschah … Ja, was geschah eigentlich? 🙂

Näheres zu meiner ersten Lesung aus „Unser aller Erbe“ finden Sie hier: https://www.facebook.com/torsten.jager.9/posts/10214603687715537

Und hier mal ein kurzer Einblick, wie so ein Buch von mir vor der Lesung aussieht…

Lesungs-Buch

Notizen für Zungenbrecher und mehr…

Zunächst erkennt man an den Seiten gelbe und orangene Postits. Die gelben stehen für den Anfang einer Passage, die anderen fürs Ende.
Außerdem erkennt man gestrichene Wörter, die mich sonst im Lesefluss bremsen, Unterstreichungen für die Betonung, und eben auch mit Lautschrift überklebte isländische Passagen.

Nachdem ich dies alles so vorbereitet, und die Übergänge auch auf kleinen Merkzetteln ins Buch geklebt hatte, konnte es losgehen… Dann habe ich mir die Passagen immer mal wieder laut vorgelesen, geschätzte zwölfmal. Ein Durchlauf mit allen Passagen dauert etwa 45 Minuten.

Anfangs fiel es mir schwer, doch dann entdeckte ich einen Trick: Voll und ganz in der Geschichte gedanklich versinken, sich das Geschehen bildlich vorstellen und eben auch, sich in die Charaktere einfühlen. Ein bisschen Schauspielerei steckt glaube ich auch im Vorlesen.
Wie reagiert ein Kriminalkommissar, der in seinem Garten beim Graben plötzlich einen Totenschädel in den Händen hält?
Wie fühlt sich eine Frau Sans – der Hausdrache im Haus des Opfers – wenn sie in ihrer Ruhe gestört wird? Wie betont sie in typisch rheinhessischem Dialekt, während die Adrenalinkurve zwischen ihr und ihrem Mann steigt, und sie im Flur streiten?
Wie drückt sich ein Isländer aus, der mal ein paar Jahre in Deutschland studiert hat und von daher nur gebrochen Deutsch spricht?
Und wie liest man am besten mystische Textpassagen aus den nordischen Heldensagen vor? Wirklich so, wie ein Geschichtenerzähler, also wie es Jacob bei Kelchbrunner tut?

Am Ende hatte ich die Passagen so oft durchgelesen, dass ich Teile von ihnen fast auswendig kenne. Und würde mich heute jemand nachts wecken und nach der ersten Passage fragen, so würde es förmlich aus mir heraussprudeln:
Schweiß brannte in seinen Augen und klebte in seinem Gesicht. Er wischte sich zum x-ten Mal über die Stirn. Frust und Trotz kämpften in seiner Brust, denn er hatte sich viel vorgenommen. Vielleicht zu viel…?